• Text aus BLUFF EUROPE - deutschsprachig, Ausgabe 09-2008

Kunde Leyceum Publishing Ltd.,
London

BLUFF EUROPE - deutschsprachig

Date September, 2008

Catch me, if you can


Journalisten auf Abwegen. Wenn eine Einladung winkt, und ein Traum in Erfüllung gehen könnte, fällt es schwer, "Nein" zu sagen. Der Wahnsinn hat einen Namen: Online ist es etwa Titan Poker. Etwa ab März gibt es auf der Seite des Online Pokerroom riesengroße Teilnehmerfelder. Strukturen fehlen jedoch weitgehend und der Titel könnte nicht treffender sein: WSOP : Wahnsinns Struktur ohne Preis?.

Erfahrene Pokerspieler wissen wovon die Sprache ist, dass sich hinter WSOP kein neu geschaffenes Akronym, sondern die Abkürzung für das herausragende Poker-Events des Jahres. WSOP steht für World Series of Poker. Das kleine o macht den Unterschied. Für die Pokergemeinde ist es das größte Spektakel, der Jahreshöhepunkt. Off- und on-line gibt es bundesweit (Ich spreche jetzt nicht ausschließlich von Deutschland, sondern auch von unseren Nachbarn in Österreich und der Schweiz) so genannte WSOP Qualifier: Satellites genannt. Das sind Ausscheidungsrunden, bei denen es in der Regel proportional zum Teilnehmerfeld Tickets für die WSOP zu gewinnen gibt.

Pokerhochburg ohne Satellites

Leider wohne ich in keiner dieser Pokerhochburgen wie Salzburg oder Wien. Ein Treffen mit Freunden und ein gemeinsamer Pokerabend im Concord Card Casino oder im Card Movie Casino (CMC), ist für mich nicht schnell umzusetzen. Das muss organisiert werden: Flug buchen, Hotel buchen, Arrangements treffen - und am besten gleich mit der Arbeit verbinden: Als Wirtschaftsjournalist bin ich auch an der Wiener Börse zu Besuch. Mal! Und Pokern soll ja vieles mit dem Geschäft an der Börse gemein haben. Vielleicht kann sollte ich einen Text für ein Pokermagazin schreiben: Zu den fünf Existierenden sollen sich noch 2008 zwei weitere dazu gesellen. Für uns Journalisten ist das eine freudige Entwicklung, besonders für die Zahlen-lästigen Kollegen unter uns. Wir schreiben über die Entwicklungen auf den Weltmärkten, berichten über Hedge und Fonds. Wir bemühen uns, Ratschläge für Aktienspekulationen zu geben. Wir warnen, wir preisen an … wir sehen zu, wie die Broker tagein, tagaus an den Monitoren der Weltbörse pokern. Und wenn wir einen Moment Zeit finden, setzen wir uns auch zusammen, verlassen die virtuelle Welt und pokern mit Karten. Hier vertraut jeder dem Zahlenwerk - meistens - rechnet, kalkuliert, setzt und blufft.

Seitdem DSF, Das Vierte oder Pro Sieben mindestens einmal die Woche zu einer ansehnlichen Tageszeit Pokern zeigen, heißt es anstelle von Thomas Gottschalk schon mal Chris Ferguson - anstelle von Kai Pflaume schon mal Eddy Scharf oder Michael Keiner, zwei von fünf deutschen Bracelet-Gewinnern. Ein Bracelet ist die Goldmedaille des Pokersports. Es ist die Medaille, die jeden Pokerspieler in den Pokerolymp hebt, unvergessen macht. Da sind wir wieder, bei einem dieser aufrührenden Gespräche, ob es jetzt ratsam ist, mit 7-2 oder x-x an einem Final Table ein All-in zu pushen. All-in bei einem Turnier mit Wahnsinns-Struktur, das für die meisten ohne Preisgeld zu Ende geht. Ein Turnier, für das ich mich im Großraum von Frankfurt leider nur online qualifizieren kann. Vielleicht mache ich mich einfach so auf den Weg nach Las Vegas, stelle mich an, registriere mich und bezahle … $ 10.000. In meinem Stammkasino war das letztens wieder Gesprächsthema. 10.000 Dollar locker machen, Reisekosten obendrauf legen und nach Las Vegas fliegen. Ein paar Bekannte wollten es machen - andere es online versuchen. Bis zum Main Event wäre ja noch viel Zeit, meinten sie. Zudem bekomme man zum Buy-in, den Reisespesen sogar ein kleines Taschengeld, heißt es: Zur Geldvermehrung im Cashgame? Früher, erzählen sich die Experten, waren die Cashgame Partien zur Zeit der WSOP ganz ordentlich. Man ist weniger wegen der Turniere, sondern vor allem wegen der Geldvermehrung neben dem Turnier gekommen.

Nächstes Wochenende ist meine Frau mit den Kindern unterwegs: sturmfreie Bude also. Da könnte man doch … Kaum ausgesprochen haben sich drei Freunde eingeladen. Wir könnten einen netten Herrenabend machen, ein zwei Flaschen Wein genießen und uns etwas Leckeres von Feinkost Meyer kommen lassen. Die Begeisterung war groß, blieb nur die Frage zu klären, wo wir am kommenden Wochenende ein für unsere Zwecke geeignetes Turnier finden: online versteht sich.

Poker Party online auf TITAN

Je mehr Personen teilnehmen, desto mehr Tickets werden ausgeschüttet. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir alle an einen Tisch kommen … Wir hofften, dass dies nicht passiert. Das Wohnzimmer bekam einen völlig neuen Anstrich, den Hauch einer LAN-Party. Diese Partys, wo sich Hunderte in einem Netzwerk zusammenschließen und Strategie- oder Ballerspielen nachgehen. Hier hinkt der Vergleich. Zwar arbeiteten wir alle im selben WLAN, die Gegner waren aber die Anderen. Unsere Mitspieler. Wir meldeten uns auf TITAN POKER für das $ 500 + 35 WSOP Super Satellite an. Bis zum Abend fanden sich 96 Spieler ein. Zur Ausschüttung kamen drei WSOP-Sorglos-Packages im Wert von $ 14.000. Für die Plätze 4 bis 14 zahlte der Online-Anbieter $ 535, der 15. erhielt $ 115. Die Zeit bis zum Beginn um 21 Uhr vertrieben wir uns mit einem $ 24 S'n'G, auch das ein WSOP Qualifier. In der Ausschreibung stand, das man vier S'n'G hintereinander gewinnen müsse, um das Ticket nach Las Vegas lösen zu können. Hörte sich unmöglich an, war aber machbar. Gesagt, getan: Einer von uns loggte sich ein und erhielt gleich Wahnsinnskarten: Q-Q, 8-8, A-K, A-A … Mit den steigenden Blinds nahm die Stärke unserer Hände ab. Der Standardraise mutierte zum Standardfold. Zusammen schauten wir zu, wie wir mit Q-Q All-in gingen und dann gegen eine Straße das Nachsehen hatte. Ein klassischer Bad Beat. Als Fünfter ausgeschieden gingen wir bei vier bezahlten Plätzen leer aus. "Pling." Das Super Satellite meldete sich zu Wort. Ein Pop-up öffnete sich und fragte ob, ich automatisch zum Tisch geführt werden will. Wir verteilten uns an unseren Laptops. Es wurde ruhig. Ich warf noch mal schnell einen Blick auf die Struktur … das Turnier startete bei Blinds von 10/20, alle 15 Minuten stiegen die Blinds. Die erste Pause gab es nach einer Stunde. Als von 96 gestarteten Spielern noch 65 übrig geblieben waren, lag die durchschnittliche Größe des Chipstapels bei knapp unter 3.000 und ich mit 7.795 auf Rang zwei. Plötzlich war ich alleine. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass meine Freunde alle ausgeschieden waren und sich vor dem TV-Bildschirm versammelten. Die Hand, die mich so in den Bann zog, dass ich mich abschottete, und die mich ganz nach vorne brachte, möchte ich Euch nicht vorenthalten: Ich saß Under-the-Gun und hielt A-K in Kreuz, callte, drei Spieler bezahlten, der Small Blind und der Big Blind stiegen aus. Das Board zeigte Kx-6c-5x. Als ich zum Zug kam, checkte ich erst einmal - und dann von 90 auf 270 zu raisen. Zwei im bezahlten auch brav. Nachdem der Turn mir das vierte Kreuz bescherte, ging ich All-in und schritt zur Kasse. Der River gab mir das beste Blatt: einen Flush. Mit Top Pair K-K und Flush gewann ich gegen eine Straight und A-A (Bad Beat?).

22:07, im TV läuft "Catch me if you can", die Geschichte vom High-School Schüler Frank Abagnale, der sich als Pilot, Arzt oder Anwalt durchs Leben schwindelt. Passt irgendwie … nur das ich wenig bluffe. Als Chipleader ziehe ich es vor, ultra-tight vorzugehen - und nebenbei im Chat ein paar Abonnements zu verkaufen. Schließlich ist mein Name Programm: Ich spiele als BLUFF EUROPEDE.
In den Levels fünf bis acht kam ich über ich das Karten wegschmeißen nicht hinaus. Bis zehn Minuten vor der Pause schrumpfte mein Stack kontinuierlich. Dann kamen sie wieder, kleine Paare, die meinen Stack aufbauten. Mit 28 Spielern und einem Stack von über 10.000, der Average lag bei 6.850, ging ich in die zweite, längere (Zigaretten-) Pause.

23:15, auf Vox lief ein Beitrag über Sportpsychologie. Der Sieg beginne im Kopf, hieß es in einem Beitrag. Wieder erhielt ich ein Paar Neunen. Vor mir gingen zwei Spieler All-in. Einer davon hatte schon zweimal mit A-7 eine All-in Situation überlebt. Ich schwankte, passte: zum Glück. Meine Mitspieler zeigten Q-Q und 8-8. Der Sieg beginnt im Kopf, gab ich dem Moderator Recht.

Level neun bis zwölf war ich dann zum ersten Mal in dem Turnier short stacked, nachdem ich mit A-Q gegen T-J die Hälfte meiner Chips verloren hatte. Es waren noch 17 Spieler im Turnier. "Nur nicht als 16. ausscheiden, wenigstens das Buy-in zurückbekommen (gibt es ab dem 14. Platz)", schoss es mir durch den Kopf. Mit Q-6 im Big Blind gelang es mir auf zu doppeln. Mit A-9s verlor ich dann ein Drittel meines Stacks. Die Blinds lagen inzwischen bei 500/1000. Leicht resigniert ging ich nach einigen Folds mit T-J All-in und wurde vom BB mit A-K gecallt.

Ausgeträumt

Damit war der Traum von Las Vegas erst einmal ausgeträumt. Mit den gewonnenen $ 535 und dem 13. Platz bleibt die Hoffnung, bei einem der nächsten Super Satellites auf TITAN POKER doch noch erfolgreich zu sein - und bei der WSOP mit BLUFF-Kapperl am Tisch die Großen zu ärgern.

Der Text ist in der September Ausgabe von BLUFF EUROPER - deutschsprachig erschienen.