• Vito Branciforte, etwas ungedultig - am Tisch ein Spieler.

KundeLyceum Publishing, London

BLUFF EUROPE - deutschsprachig

Date April, 2007

Portrait: Der Ungeduldige
leer

Vito Branciforte hat sich in der deutschen Turnierszene einen Namen gemacht. Live und im Internet, er hat nicht erst "trainiert", sondern gleich angefangen richtig Poker zu spielen. BLUFF EUROPE - deutschsprachig mit dem Familienmensch über seine Ziele, seine Beziehung, und seinen Weg zum Poker-Pros.

Las Vegas, wir treffen Vito Branciforte im Rio Casino, genauer im Starbucks Coffee-Shop, und er beginnt zu erzählen: "Ich bin in Konstanz am Bodensee geboren und aufgewachsen. Meine Eltern kommen aus Italien. Sie sind schon 40 Jahre in Deutschland. Auch ich bin Italiener. Mein Vater war Schreiner, ist jetzt in Rente und meine Mutter ist Hausfrau. Ich habe sehr nette Eltern: Sie haben mich immer machen lassen und mir nie etwas vorgeschrieben. Auch bei der Berufswahl gab es keine Vorgaben: So habe ich erst eine Ausbildung als Bauzeichner gemacht, dann Architektur studiert. Das Studium habe ich aber nie abgeschlossen. Eine Versicherungsagentur hat mir ein gutes Angebiot gemacht. So habe ich in Konstanz ein großes Versicherungsbüro aufgebaut. 2001 habe ich neu angefangen. Da bin ich zur Generali gegangen.

Vom Versicherungspoker zum Kartenspiel

Mit dem Pokern habe ich vor etwa zwölf Jahren begonnen. Ich habe mich mit Freunden getroffen und wir haben gepokert. Seit August 2005 habe ich regelmäßig online gespielt, zusammen mit einem Kollegen. Bis die ersten Erfolge kamen, haben wir jedoch viel Lehrgeld bezahlt. Mein erster großer Erfolg war der Sieg in einem H.O.R.S.E Event beim PokerStars World Cup of Online Poker (WCOOP) im Oktober 2005. 1.500 Leute haben da teilgenommen. Das Buy-in betrug $ 215 und das Preisgeld war mit $ 84.000 nicht zu verachten. Zwei Disziplinen - Omaha Hi-Lo und Seven Card Stud Hi-Lo - des H.O.R.S.E-Events hatte ich vorher eigentlich noch nie gespielt. Ich habe mir kurz durchgelesen, wie das geht, einen Kollegen in Wien angerufen, mir ein paar Tipps geholt und dann los gelegt. Das Turnier begann um zehn Uhr abends. Nach etwa dreizehn Stunden hatte ich gewonnen. Wir haben uns totgelacht. Da war viel Glück dabei."

Lange Durststrecke

Für Vito Branciforte war das ein Startschuss und er überlegt, professionell zu pokern. Klar, dass er danach viele weitere Turniere spielt - überaus erfolgreich, wie er selbst sagt. Doch im Moment läuft bei dem Italiener gar nichts. "Seit dem 24. Dezember 2007 habe ich kein Turnier mehr gewonnen. Das ist die längste Durststrecke, die ich je hatte. Vorher habe ich jeden Monat live oder online mindestens ein Turnier gewonnen. Vielleicht liegt das an der Umstellung meines Stils. Ich spiele Turniere meistens aggressiv. Ich übe gerne Druck aus. Da ich in den letzten Monaten damit nicht so erfolgreich war, habe ich mir überlegt, tighter zu spielen. Ich komme jetzt bei Onlineturnieren in der Regel sehr weit und scheide erst kurz vor dem großen Geld aus. Vielleicht fehlt mir in diesen Situationen jetzt die Aggressivität. Während ich früher seltener ins Geld kam, bin ich als tighter Spieler jetzt häufiger im Geld. Dafür war ich früher, wenn ich im Geld war, dick im Geld. Ich muss wohl den goldenen Mittelweg finden. Doch wenn man im Turnier mehrere Stunden im gleichen Rhythmus spielt, ist es gar nicht so einfach, sich umzustellen. Aber darauf kommt es an: Der Rhythmuswechsel in den unterschiedlichen Turnierphasen. Das Tempo rausnehmen - und dann wieder Gas geben." Vito glaubt, er hat alle "Moves drauf" und einen guten Read auf seine Gegner. Doch er will immer mal wieder mit dem Kopf durch die Wand. Auch wenn er weiß, wie sinnlos das ist. "Ich habe schon einige große Events gespielt - und wieder kleine Fehler gemacht." Fehler, die den Italiener den Weg verbauten.

Bad Beat Versicherung

"Live fehlt mir in bestimmten Phasen einfach die Geduld." Er glaubt, das italienische Temperament schade ihm in manchen Turnierphasen. "Wenn ich mal einen wichtigen Pot verliere, werde ich gleich aggressiv und gehe kurz auf Tilt. Das kostet mich dann gleich einen weiteren Teil meines Stacks." Vollprofi ist Vito Branciforte jedoch nicht. "Ich habe in Konstanz noch immer mein Versicherungsbüro. Tatsächlich habe ich in meinem Beruf viele Dinge gelernt, die mir beim Pokern helfen. Ich habe zahlreiche Seminare über Verkaufsschulung, Kundenbetreuung usw. besucht und kann Gegner gut einschätzen. Wir - Generali - haben uns auch schon einmal überlegt, eine Bad Beat Versicherung anzubieten. Versicherungstechnisch kann man das sicher berechnen. Pokern und das Versicherungsgeschäft haben viel gemein. Wie Pokerspieler schätzen Versicherungen Risiken ein und berechnen Beiträge bzw. Einsätze entsprechend. Um das Versicherungsbüro kümmert sich allerdings vor allem meine Frau, vielmehr meine Ex-Frau. Sie verstand das mit dem Pokern nicht und ist abgedüst. Als Pokerspieler ist es schwer, eine Beziehung zu führen. Da braucht man die richtige Frau und da gibt es nur ganz wenige."

Seit er sich vor etwa zehn Monaten von seiner Frau getrennt hat, läuft es bei ihm mit dem Pokern besser. "Ich habe den Kopf jetzt frei. Poker, so wie ich es betreibe, kostet viel Zeit. Ich bin viel unterwegs, spiele viele Turniere und der Tagesablauf ist ganz aufs Pokern ausgerichtet: Je nachdem, wie die Nacht verlief, stehe ich morgens oder mittags auf, schaue im Büro nach dem Rechten und spiele dann wieder online." Pro Tag etwa acht, neun Stunden, mehrere Tische parallel.

Die Familie ist ihm wichtig

"Nach der Trennung von meiner Frau bin ich häufiger nach Bregenz und in die umliegenden Kasinos gefahren. Allmählich kamen auch die Erfolge - vor allem in Bregenz. Das ist fast so etwas wie mein Wohnzimmer und in den Turnierwochen gewinne ich eigentlich fast immer ein Turnier. Ich mag die Atmosphäre beim Pokern. Ich freue mich auf jedes Event, ich bin gerne unter Menschen, ich brauche meine Freunde, meine Familie. Vor allem meine Familie ist mir wichtig. Mit meinem Schwager Falvio bin ich jetzt in Las Vegas und meine Schwester unterstützt mich unglaublich. Sie hält mir den Rücken frei und macht mir den Haushalt. Kochen tut sie aber nicht für mich - ich bin ja eh nie daheim. Meine Schwester glaubt fest daran, dass ich es im Pokern schaffe."
Für Vito ging es beim Pokern langsam bergauf. Online ging es jedoch auch manchmal bergab. Er habe Fehler gemacht. Er selbst sagt von sich, sein Bankrollmanagement sei schlecht und manchmal spiele er zu hohe Limits: "Wer mich kennt, der weiß, dass ich einer bin, der manchmal zu hoch pokert. Der höchste Pot, den ich bisher verloren habe, kam vor Jahren in der Schweiz in einer privaten Partie zustande. Da lagen etwa 80.000 oder 90.000 Schweizer Franken im Pot. Gespielt wurde Pot Limit Omaha. Ich hatte die Asse double suited und calle nur. Raisen brachte an dem Tisch gar nichts. Der Tisch war so heiß, denn die haben alles bezahlt. Dann raist einer, ich calle wieder nur. Es folgt Reraise. Ich habe die Schnauze voll und raise noch einmal. Vier Spieler sind im Pot, jeder hat viel Geld vor sich und der Flop bringt A-7-4. Nuts Drilling, Rainbow Flop. Vor mir checken zwei Spieler und einer spielt den Pot an. Ich spiele gleich Raise-Pot. Beide schmeißen weg, der Dritte callt. Nächste Karte 4. Nuts Full fertig. Ich spiele wieder Pot. Er callt, ich gehe All-in. Auf dem River kommt dann die dritte 4. Er hält eine 4 und gewinnt den Pot. Runner, Runner - das war einer der größten Bad Beats, die ich je einstecken musste." Dennoch ist Vito an diesem Abend als Gewinner vom Tisch gegangen, mit leichtem Plus. Generell spielt er allerdings lieber Turniere als Cashgames. Er meint, im Turnierpoker holt man sich das Prestige und im Cashgame das Geld, um Turniere spielen zu können. Noch kann Vito vom Poker nicht leben, noch nicht ganz. Er ist ein Lebemann und braucht viel Geld zum Leben. Doch er glaubt an sich: "Bald ist es soweit." Natürlich müsse er sein Spiel noch verbessern und viel lernen.

Das kann er. Davon ist er überzeugt. Studium, Job - er hat in seinem Leben schon viel gelernt und erfolgreich umgesetzt. Doch trotz aller Erfolge überschätzt sich Vito nicht: "Ich halte mich nicht für einen sehr, sehr guten Pokerspieler, aber ich will es werden. Dabei geht es mir beim Pokern nicht nur um das Geld, sondern um den Erfolg. Erfolg ist mir wichtig." (Im Main Event der WSOP 2008 schied Vito Branciforte als einer der letzten deutschen Spieler auf Rang 101 aus. Sein Trostpflaster in Höhe von $41.816 ist nur ein Grund, warum der Italiener seit Monaten von Sponsoren umgarnt wird

Der Text ist auf in dem Fachmagazin BLUFF EUROPE - deutschsprachig erschienen.